Besinnung - Jahresbegleiter  

3.Juni

ICH UND MEIN VOLK

"... Gib mir mein Leben um meiner Bitte willen und mein Volk um meines Begehrens willen."
(Esther 7,3)

Unter Zurückstellung ihrer eigenen Sicherheit begibt sich Esther, die junge Königin, zu ihrem Gebieter. Sie bricht damit ein Gesetz des Hofes, daß nur der sich zum König nahen darf, der gerufen ist. Esther muß bei diesem Schritt damit rechnen, daß sie dadurch in Ungnade fällt.

Aber Esther erachtet ihr Leben für nichts - oder besser gesagt: Sie achtet ihr Leben nicht höher als das Leben ihres Volkes. Ihr "Ich" und das "Volk" haben den gleichen Stellenwert - oder besser gesagt: Ohne ihr Volk ist sie nichts - und ihr Volk braucht sie! In poetischer Art ist so ihr Leben und das Leben des Volkes auf eine Stufe gestellt: Geht es ihr gut, so geht es ihrem Volk gut! Geht es ihr schlecht, so geht es auch ihrem Volk schlecht!

Aus dieser Überzeugung der Verantwortung für ihr Volk wagt sie den Schritt vor den König und verquickt die Bitte um ihr Leben mit der Bitte um das Leben ihres Volkes.

So ein Reden und so ein Denken sind ja bei uns in Deutschland durch das furchtbare Unrechtregime des nationalsozialistischen Wahns nicht mehr (oder kaum!) zu finden. Man denke nur an die Diskussionen um den Wehrdienst, wo junge Männer zum Teil unter dem Vorwand der Gewissensfreiheit "den Dienst mit der Waffe für das Volk" ablehnten. Die Einrichtung des Ersatzdienstes war aus dieser Not geboren - nicht aber aus der freiwilligen Zurverfügungstellung der jungen Menschen. Damit soll nicht gesagt werden, daß beide Dienste "Dienste für das Volk" sind. Allerdings sollte man dann auch annehmen, daß auch bei geringer Kraft ein irgendwie gearteter Dienst für alle, auch für Mädchen, vorgesehen werden sollte.

Doch es geht hier nicht um die Frage des Wehrdienstes. Vielmehr geht es um die Frage, die John F.Kennedy so formuliert hat: Frage nicht, was Dein Volk für Dich tun kann; frage, was Du für Dein Volk tun kannst!
Wir leben heute in einer Zeit, wo das "Volksbewußtsein" kleingeschrieben ist und der Individualismus groß. Dabei erfahren wir Tag für Tag, daß wir immer mehr für die Belange des Volkes "zur Kasse gebeten werden".

Vielleicht, daß in der Stunde der Bedrohung unseres Volkes ähnliche Worte gesprochen werden wie damals von Esther in der Not ihres Volkes.
Bei Esther allerdings geht es um die große Verheißung, die dem Volk der Juden gegeben ist, daß daraus der Heiland der Welt kommen soll. Geht es Israel gut, dann geht es auch den Völkern gut!



  • 22.Woche


  • Hinweis
    153.Lesung


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    Pfarrer i.R. Jakob Stehle
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